Ein Bild ist ein Bild: Nicht mehr und nicht weniger. Mit dieser Auffassung scheint der Maler Thomas Bindl aus der Zeit gefallen zu sein. Denn in der heutigen postfaktischen Welt scheinen Fakten und Bilder grenzenlos nach Gutdünken manipuliert und verändert werden zu können. Alles wird dadurch beliebig, nirgends mehr gibt es Gewissheiten. Aber vielleicht sind Thomas Bindls Arbeiten deshalb so interessant, weil es ihm um die Malerei an sich geht, um deren Wesen. Erst in zweiter Linie ist es das Sujet, ein Stuhl, eine Blume, ein Mensch, das sich in einem oft langwierigen Schaffensprozess herauskristallisiert. Beharrlich kreist er dieses ein, entwickelt es aus einem Gewirr von Formen und Farben. Die so entstehenden Bilder, Zeichnungen und Graphiken sind dabei brüchig, denn sie könnten jederzeit auch anders sein. Aber sie sind so, wie sie eben sind, eine verdichtete Gewissheit, ohne dabei starr und unbeweglich zu sein. Vielmehr spiegeln die teilweise krustenartig wirkenden Oberflächen seiner Bilder die im Malprozess entstehenden Möglichkeiten eines Aufbruchs wieder, der auch für den jeweiligen Betrachter, der sich auf seine auf den ersten Blick melancholisch wirkenden Bilder einlässt, fassbar wird.
Dr. Dr. Barbara Häcker zur Ausstellung "brüchig" im Kunstverein Schwabach 2018
„Was gemalt ist, überlebt im Schutzraum des Bildes, im Schutzraum des Gesehen-worden-Seins. Die Heimat eines wahren Bildes ist dieser Schutzraum“. (John Berger 1982)
Nicht mehr und auch nicht weniger
Es gibt nichts hinzuzufügen und nichts wegzunehmen bei den Bildern von Thomas Bindl. So lapidar wie ihre Titel sich geben, beschränken sie sich allein auf das, was sie sein wollen. „Kopf mit Brille“, „Geknickte Blume“, „Kleiner Stuhl“. Es handelt sich da exakt um einen Kopf mit Brille, eine geknickte Blume und einen kleinen Stuhl. Nicht mehr und nicht weniger. Knapp und atmosphärisch dicht wie ein Haiku.
Bindl selbst ist ein Purist, dessen erste Frage immer auf Sinn und Zweck einer Sache gerichtet ist und der die Dinge gern auf den Punkt bringt. Daher liebt er die ganz unspektakulären Motive und geht ohne Umschweife an sie heran. Neben Stillleben bleibt sein großes Thema nach wie vor der Mensch, der Mensch von seiner verletzlichen, von seiner zweifelnden, von seiner zerrissenen Seite, der Mensch, der die Welt hinterfragt und in sich hineinhorcht, der einer unter vielen und doch jeweils ein Individuum ist.
Worin drückt sich die Verfassung eines Menschen aus? In seinem Kopf, in seiner Haltung. Also malt Bindl Köpfe, in sich hineinhorchende, und auch wenn er Büsten oder ganze Figuren gestaltet, sind sie in sich versunken, lesend, abgewandt. Dennoch halten die Porträts den Betrachter fest, weil sie trotz ihrer fast monumentalen Statik wie Momentaufnahmen erscheinen. Sie fixieren ihr Befinden. Trotz ihrer Introvertiertheit stellen sie den Kontakt zum Betrachter auf einer emotionalen Ebene her. Wenn auch der Blick ins Ungewisse geht und die Augen meist hinter dunklen Brillengläsern verborgen bleiben, ist die Haltung von Kopf und Oberkörper auf ein Gegenüber gerichtet. Der Maler zeigt uns einen in einem gewissen Zeitraum festgehaltenen Zustand, der direkt an den Betrachter adressiert ist.
Bindl sieht seine Arbeitsweise parallel zu den sozialen Bedingungen des Menschen. Für ihn geht das Malen ähnlich vonstatten, wie der Mensch auf die Zwänge reagiert, denen er in der Gesellschaft ausgesetzt ist, suchend, findend, ordnend, verwerfend, immer wieder Neuem auf der Fährte. Werbung und Medien versuchen täglich, Bedürfnisse und Sehnsüchte zu wecken, sie verlocken mit Bildern einer Welt, deren Klischees uns ein „Schöner Leben“ vormachen wollen, während auf den anderen Kanälen Nachrichtensendungen die alltäglichen Schreckensbilder vor stumpf gewordenen Gemütern verbreiten. Wie, sagt Thomas Bindl, könnten die Menschen auf meinen Bildern da anders sein als melancholisch?
Ein eigenes Feld ist die Grafik. Ein Feld, auf dem sich gut experimentieren lässt, und Bindl verwendet viel Zeit auf spielerisches Experimentieren, um die grafischen Techniken zu verfeinern. Radieren, frottieren, lithografieren und am besten alles miteinander kombinieren, um die Wirkungen zu erproben. Bereits in der Zeichnung ist die Figur nicht diffus sondern konzentriert, entwickelt sich aus einem relativ festen Strichgefüge und wird reduziert auf wenige kennzeichnende Merkmale.
Wenn Thomas Bindl zu malen beginnt, weiß er nicht unbedingt, wohin das führen wird. Es gibt für ihn keine vorgegebene Methode, nach der er sich richten könnte. Er fängt einfach an, erst mit der Zeit wird die Vorstellung eingekreist, entschließt er sich zu einer Form, aus der sich Figur oder Gegenstand entwickelt. „Bildgegenstand“ kann letztlich alles sein, eine Blume, ein Stuhl, eine Tasche genauso wie ein Mensch. Es sind Dinge, die sich in der Umgebung befinden und nun im Bild genauer untersucht und präsentiert werden. Und schließlich geht es auch ums Malen an sich, um eine äußerst subtile Malerei zudem, die sich immer gleich sorgfältig und raffiniert, in ihrer Zielrichtung jedoch immer wieder anders zeigt. Es ist ein langer Prozess, in dem das Bild entsteht. Der Maler entwickelt den Gegenstand aus dem Diffusen, umkreist ihn, sucht ihn zu fassen, grenzt ihn ein und lässt ihn im Zweifelsfall wieder verflüchtigen. An welcher Stelle er einhält und beschließt, dass das Bild fertig sei, an welcher Stelle er mit dem Ergebnis einverstanden ist, bleibt letztlich offen und revidierbar, wird dem Betrachter zur Disposition gestellt. Der Augenblick, in dem ein Bild dem öffentlichen Blick ausgeliefert werden kann, ist niemals mit Sicherheit zu bestimmen.
Daher kann es durchaus passieren, dass manche Bilder lange Zeit nicht zu Ende gebracht werden, andere wiederum nach langem von Neuem in Angriff genommen werden.
Es gibt klar umrissene Gegenstände, die fest vespannt und beinahe geometrisch exakt im Bild sitzen, vor allem bei den Stilleben ist dies der Fall. Und es gibt Motive, die transparent fast in die Bildfläche hinein diffundieren, sodass das Auge sie erst vom Grund lösen muss. Und doch sind sie alle mit der gleichen Sorgfalt behandelt, zeugen alle von der gleichen Geduld und Zuwendung, die der Maler aufbringt, und mit der er auch noch den allerletzten Pinselstrich setzt. Nur so kann diese äußerst delikate Bildoberfläche entstehen, die von altmeisterlicher Behandlung bis zu impressionistischer Duftigkeit reicht, nur so die kostbare Farbigkeit von tonigen grau in grau Flächen bis zu Komplementärkontrasten. Mal verwendet er glühendes Rot und leuchtendes Grün, tiefes Blau und wenige weiße Kontrastflächen, mal lässt er die Farben atmosphärisch ineinander verschmelzen; mal fasst er die Gegenstände zu kompakten und sehr realen Formen zusammen, mal entgrenzt er sie, mal setzt er sie sehr entschlossen in einen Bildraum, mal belässt er sie wolkig- fleckig auf einer räumlich nicht abgesicherten, schwebenden Bildfläche. Immer bewegt er sich konzentriert um ein Ding herum, höchst selten befinden sich mehrere Objekte auf einem Bild. Nichts lenkt von diesem einen ab, das prägnant erfasst werden muss, und so, wie der Maler darauf aus ist, der Sache auf den Grund zu gehen, so ist auch der Betrachter gefordert, sich anhand des fertigen Bildes genauso ausschließlich mit diesem einen Ding zu beschäftigen.
Was so simpel und schlüssig erscheint, ein Stuhl, ein Kopf, ein Blume, gewinnt erst „Ansehen“ durch diese äußerst verfeinerte Malerei, die letztlich immer das eigentliche Thema bleibt. Farbe, Licht, Transparenz oder Dichte sind Faktoren, die subtil ausgelotet werden. Wie stellt man ein Ding dar, dass es dies und nichts anderes ist, und dass es dabei – und so einfach es klingt, so ist doch genau das die größte Schwierigkeit – dass es ein Bild wird. Ein Bild, das überdauert, das im „Schutzraum des Gesehen-worden-Seins“ überleben kann, wie John Berger die zeitlose Gültigkeit eines Gemäldes umschreibt.
In einer Zeit, in der die Werbung die Kunstgeschichte für ihre Zwecke plündert und so zu einer der letzten Domänen der Kunst wird, einer Kunst, die wieder einmal vorführt, was repräsentativ und gesellschaftlich notwendig sei, in einer Zeit, in der die Bildende Kunst sich längst auf andere Schlachtfelder begeben hat, in einer solch schwierigen Zeit beharrt der Maler Thomas Bindl auf einer Malerei, die höchsten Wert legt auf Struktur, auf Körper und auf edle Oberflächen, die Unspekatukläres zum Vorwand nimmt, um spektakulär zu malen. Denn hier geht es nicht primär um das Darzustellende, um das natürlich auch, vor allem aber geht es darum, wie es darzustellen sei. Um die Substanz also, um das Wesen der Dinge, und auch wenn das schon oft gesagt worden ist, so ist es immer noch das, was das Sein vom Scheinen unterscheidet. Wir sehen Menschen auf Thomas Bindls Bildern. Das ist es, womit uns diese Bilder, über ihre ästhetische Erscheinung hinaus ansprechen. Und mit den Blumen und den anderen Dingen, die wir hier sehen, verhält es sich nicht anders.
Juli 2004 Ines Kohl
Eingangszitat: John Berger, Das Kunstwerk. 29. SALTO, Wagenbach (Berlin) 1992. Darin: Der Ort der Malerei, S. 91
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